Kinder erfanden eigenes Deutsch

Kinder erfanden eigenes Deutsch
Peter Maitz mit einheimischen Kindern auf Papua-Neuguinea

Hast du dir auch schon mal gewünscht, mit Freunden in einer Geheimsprache reden zu können, so dass niemand anderes euch versteht? Vor 100 Jahren haben Kinder auf der anderen Seite der Erdkugel das getan – sie erfanden „Unserdeutsch“. Diese Fantasiesprache ist einzigartig: Sie verwendet deutsche Wörter und wird noch heute in Australien und Papua-Neuguinea gesprochen.

Deutsch unter Palmen?

Papua-Neuguinea ist ein Inselstaat im Pazifik. Seit 40 Jahren ist es ein unabhängiges Land (Grafik). Vorher aber war es lange Zeit eine Kolonie. Das bedeutet: Fremde Regierungen, weit entfernt in Europa, bestimmten über das Land und die Menschen, die darin lebten. Die europäischen Herrscher waren aber vor allem an Gold, Geld und Handelsrouten ihrer neuen Herrschaftsgebiete interessiert. Sie glaubten arrogant, dass die Bewohner ihrer Kolonien unzivilisierte Wilde seien – nur weil sie anders lebten als sie selbst.

Ab 1899 hatte der deutsche Kaiser auf Papua-Neuguinea das Sagen, die Kolonie hieß von da an „Deutsch-Neuguinea“.  Neben deutschen Politikern, Soldaten und Händlern strömten auch Mönche und Nonnen in die neue Region. Sie wurden Missionare genannt und sollten den Menschen dort das Christentum und die deutsche Sprache beibringen. Auch wenn diese Menschen das oft gar nicht wollten. Sie hatten ja schon eine Sprache und einen eigenen Glauben.

In der Missionsstation in Vunapope lebten zuerst Kinder, die unterschiedliche Sprachen beherrschten. (Foto: Maitz)

In der Missionsstation in Vunapope lebten zuerst Kinder, die unterschiedliche Sprachen beherrschten. (Foto: Maitz)

Wer hat’s erfunden?

Deutsche Männer bekamen Kinder mit Frauen aus Papua-Neuguinea. Die Kinder gehörten nirgendwo dazu: Die Einheimischen wiesen sie wegen ihrer Väter zurück und die Europäer wollten wegen ihrer Mütter nichts mit ihnen zu tun haben. Manche Eltern gaben ihre Kinder fort, anderen wurden sie weggenommen – weil sie in den Schulen der Missionare im christlichen Glauben erzogen werden sollten. Diese Kinder lebten in der Missionsstation in Vunapope , im Osten Papua-Neuguineas. Viele hatten schon Deutsch gelernt, dort fand auch der Unterricht auf Deutsch statt. Doch immer mehr Kinder zogen in die Mission, deren Eltern aus anderen Teilen der Welt stammten: Japaner, Malaien, Chinesen. Wie sollten sie miteinander sprechen?

So funktioniert die Sprache

In den Schlafsälen der Mission setzten die Kinder eine geniale Idee um: Diejenigen, die bereits Deutsch konnten, sprachen ein einfaches Deutsch – so war es für die anderen leichter zu verstehen und zu lernen. Außerdem übernahmen sie einige Wörter, die Wortstellung und andere Regeln aus den von ihnen sonst noch gesprochenen Sprachen, zum Beispiel aus Tok Pisin. Probier es aus: Im Kasten unten stehen Beispiele!

Wie geheim ist Unserdeutsch?

Peter Maitz ist Professor für Germanistik in Augsburg und einer der wenigen Wissenschaftler, der Unserdeutsch erforscht. Er ist überzeugt, dass für die Entwicklung der Sprache eines besonders wichtig war: Dass die Kinder glaubten, sie würden von ihrer Umgebung nicht verstanden. Der Name deutet das schon an: „Unserdeutsch“ – das ist eben nicht „euer Deutsch“, sondern unsere Geheimsprache, das Deutsch der Kinder. Aber: „Wenn man Deutsch kann, versteht man Unserdeutsch recht gut, weil der Wortschatz zum großen Teil derselbe ist“, sagt Peter Maitz. Ganz so geheimnisvoll war Unserdeutsch für die Mönche und Nonnen in Vunapope also nicht.

Wie wurde Unserdeutsch zur Muttersprache?

Die Kinder in der Mission wurden erwachsen. Und sie gehörten weiter nirgendwo dazu. Viele von ihnen verließen deswegen nie die Gegend um Vunapope. Sie heirateten untereinander, lebten zusammen – und sprachen weiter Unserdeutsch. So lernten ihre Kinder nicht als Erstes Deutsch, Japanisch oder Tok Pisin, wie sie früher. Unserdeutsch wurde zu ihrer Muttersprache.

Und heute?

Die Kinder, die einst die Sprache erfunden haben, sind inzwischen alle erwachsen geworden und gestorben. Ihre Kinder aber, die heute auch schon alle über 60 sind, beherrschen Unserdeutsch noch. Wissenschaftler wie Peter Maitz suchen sie und nehmen sie auf Band auf. Insgesamt gibt es nicht mehr als 100 Unserdeutsch-Sprecher, die meisten von ihnen leben inzwischen in Australien. Doch sie fühlen sich durch ihre Sprache ganz besonders mit Deutschland verbunden. Auch wenn hier leider fast niemand von ihnen weiß: Als die deutsche Fußball-Elf die WM gewann, feierten sie am anderen Ende der Welt unter Palmen.

So klingt Unserdeutsch!

Deutsch wurde  mit englischen Wörtern gemischt, z. B.:  „Ich komme dich abholen“ wird zu „I komm aufpicken du“     („to pick up“ für „jemanden abholen“)

Die Mehrzahl wird mit „alle“ gebildet, z.B.: „Freunde“ – „alle Freund“; „Häuser“ – „alle Haus“

Fragewörter stehen immer am Ende des Satzes, z.B. wird aus „Wohin gehst du?“der Satz: „Du geht wo?“

Bisher gibt es kaum Aufzeichnungen von Unserdeutsch – es ist eine Sprache, die nur gesprochen, nie geschrieben wurde. Forscher wie Peter Maitz ändern das gerade und nehmen die letzten Sprecher auf Band auf. Die Sätze, die hier aufgeführt sind, hat der Journalist Felix Zeltner von einer Reise in der Südsee mitgebracht– dort hat er einen der wenigen Unserdeutsch-Sprecher getroffen.

Von Annika Leister